Walter Moers – Die Stadt der träumenden Bücher (Graphic Novel, Teil 1)
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Die Stadt der träumenden Bücher gehört für mich in seiner Romanform zu den Highlights der deutschsprachigen Fantastik. Kann man ein Werk, das eine Fülle an Details und an Anspielungen auf den Literaturbetrieb enthält, als Comic umsetzen? Walter Moers hat es in Zusammenarbeit mit Florian Biege getan.
Graphic Novels gehören nicht zu meiner gewöhnlichen Lektüre, deshalb war ich sehr gespannt, wie die Umsetzung der Buchvorlage gelungen ist und ob nicht zu viel verloren ging.

Die Geschichte der Graphic Novel folgt (logischerweise) der der Romanvorlage Die Stadt der träumenden Bücher, die bereits 2004 erschienen ist.

Dieses Buch wurde mir vom Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Meine Meinung bleibt unabhängig.

Mythenmetz auf der Suche nach einem Genie

Hildegunst von Mythenmetz bekommt von seinem Dichtpaten Danzelot nach dessen Tod ein Manuskript eines unbekannten Dichters vererbt. Die kurze Geschichte ist so vollkommen, dass sie Hildegunst in eine Sinnkrise stürzt und er beschließt, dieses Dichtergenie zu suchen, um von ihm zu lernen. Seine Suche führt ihn in die Stadt Buchhaim, die ganz und gar aus Literaturbetrieb besteht.

Dort wirbelt Hildegunsts Manuskript einigen Staub auf, denn dieser Text hat eine Vorgeschichte, die nicht an die Oberfläche gelangen darf.
Mythenmetz gerät mit seiner Suche an die falschen Leute. Er wird in das Labyrinth in den Katakomben unter der Stadt verbannt.

Zwischen endlosen Gängen aus Bücherregalen warten zahlreiche Gefahren: Bücherjäger, die auf Mythenmetz‘ Kopfgeld aus sind, riesige Insekten, die schrecklichen Buchlinge, Harpyre, gefährliche Bücher und schließlich die sagenumwobene Gestalt des Schattenkönigs.

Lindwurmfeste in Die Stadt der träumenden Bücher
Hildegunst von Mythenmetz zieht aus in die weite Welt.

Teil 1 führt bis zur Aufnahme Hildegunsts in die Lederne Grotte der Buchlinge.

Buchhaim – Die Stadt der träumenden Bücher

In Buchhaim treffen alle Facetten des Literaturbetriebs aufeinander, denn die Stadt ist Literaturbetrieb. Autoren, Leser, Verleger, Kritiker, Buchhändler, Antiquare und und und…
Das bietet einiges an Platz, um einerseits das Lesen zu feiern, andererseits auch um den Literaturbetrieb zu parodieren und kritisieren.

Als junger, aufstrebender Dichter(lehrling) ist Mythenmetz natürlich hoffnungsvoll, er träumt von Bestsellern und Erfolg. Doch nicht jeder Autor kann Erfolg haben, viele, das muss er schmerzlich feststellen, landen verarmt auf dem Friedhof der vergessenen Dichter, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet.
Starautoren, angehende Autoren, Klassiker, tote Autoren – Buchhaim ist voll davon.

Literaturkritiker werden wie schon in Ensel und Krete geschmäht. Ihr Platz in Buchhaim ist, zusammen mit anderen zwielichtigen Kreaturen, in der Gifitigen Gasse. Dort bieten sie ihre Dienste an, mit ein paar schnell geschriebenen Verrissen die Hoffnungen eines Autors zunichte zu machen.

Ähnlich zwielichtig sind die Instanzen, die mit dem Handel von Büchern Geld verdienen wollen. Oberste Qualifikation eines erfolgreichen Verlegers ist es natürlich nicht, gute Literatur zu erkennen, sondern zu erkennen, was sich gut verkaufen lässt. Zu gute Literatur ist für die absatzbringende Massenware sogar gefährlich, aber keine Spoiler.

Smeik in Die Stadt der träumenden Bücher
Die Haifischmade Smeik ist ein Sinnbild für gierige Verleger.

Welche Position nehmen die Leser ein? Sind sie nur Kunden und Konsumenten, die in hypnotischem Rausch den (Marketing)Vorgaben der Verleger folgen, oder sind sie Liebhaber, die ihre Lektüre sorgfältig auswählen? Auch hier haben wir in Die Stadt der träumenden Bücher beide Positionen parodistisch überspitzt.

Und nicht zuletzt gibt es in Buchhaim natürlich Bücher in allen Facetten: Gefeierte Meisterwerke (Die Katakomben von Buchhaim), wenig beachtete Meisterwerke (Ritter Hempel), Ramsch (Knotenkunde für Linkshänder), seltene Trophäen (Das Blutige Buch), Massenware, Lebendige Bücher, Gefährliche Bücher und träumende Bücher, die darauf warten, wiederentdeckt zu werden.

Literatur ist wie (fast) immer bei Moers das Meta-Thema hinter der Geschichte. Ich kann diese Dinge hier nur andeuten, aber ich hoffe, dass ich damit noch einmal darauf hinweisen konnte, dass man Moers unrecht tut, wenn ihn – wie es ab und an geschieht – nicht als ernstzunehmenden Schriftsteller betrachtet.

Kürzungen der Graphic Novel – Immer noch die volle Geschichte?

Die spannende Frage bei der Umsetzung des Romans als Graphic Novel: Was kann rausgekürzt werden, was muss bleiben, damit die Story weiter funktioniert? Und was muss man nicht mehr mit Text beschreiben, weil es durch Bilder erklärt wird?

Wer Die Stadt der träumenden Bücher bereits als Roman kennt, der wird diese Kürzungen schnell finden. So fehlt z.B. die Kometenwein-Geschichte beim Trompaunenkonzert, oder die Bienenbrot-Episode. Der Fokus liegt deutlich darauf, die Haupthandlung voranzubringen.
Der Geschichte schadet das nicht, denn die weggelassenen Stellen sind sorgfältig genug ausgewählt. Das Tempo der Haupthandlung wird ohne diese Details ein wenig schneller, lässt sich an den wirklich wichtigen Stellen trotzdem noch genug Zeit für Erklärungen und Tiefe. Und das, was ohne die Sidestorys an Atmosphäre verloren gehen könnte, wird am Ende durch die graphische Gestaltung wieder kompensiert.

Einige der fehlenden Hintergrundinformationen werden durch ein Glossar am Ende des ersten Bandes zumindest nachgeliefert. Schöner ist es natürlich, solche Informationen immer durch die Geschichte selbst zu bekommen, aber das ist eben nicht immer in vollem Umfang möglich.
Kenner der Reihe können dieses Glossar überspringen, für alle anderen ist es eine gute Ergänzung.

Wie sieht Die Stadt der träumenden Bücher eigentlich aus? Der Weg zur Zeichnung

Die Illustrationen der Graphic Novel wurden von Walter Moers in Zusammenarbeit mit Florian Biege erstellt. Der Stil ähnelt daher den gewohnten schwarzweiß-Illustrationen aus Moers‘ Romanen, nur eben farbig coloriert. Dadurch wird auch an der Optik deutlich spürbar, dass der Originalautor wesentlich beteiligt war und es sich nicht um ein 3rd-party-project handelt.

Besonders die Zeichnungen, die Teile der Stadt Buchhaim zeigen, haben es in sich. In ihnen sind viele der kleinen Details und Anspielungen, die durch die Textkürzungen an anderen Stellen fehlen.
In der Antiquariatsszene auf Seite 26/27 zum Beispiel sind Figuren aus mehreren anderen Zamonien-Romanen versteckt, was für den Leser, der diese Bücher kennt, ein herrliches Suchspiel ergibt.

Buchhaim in Die Stadt der träumenden Bücher
Eine riesen Menge an Easter Eggs in einem Bild.
Bildquelle: http://www.zamonien.de/buch_graphic_novel.php [eigene Markierungen]

Die Zeichnungen sind aufwändig gestaltet und sehr atmosphärisch. Die Lindwurmfeste ist in griechisch angehauchtem Stil gehalten, ein Utopia für Dichter. Buchhaim wirkt handwerklich-solide und die Katakomben angemessen finster und mysteriös.
Die Größe der Panels reicht von einer kleinen Viertelspalte bis zu einer mehrseitigen Ausklapptafel, auf der die Lederne Grotte der Buchlinge abgebildet ist.

In einem Blogeintrag zum Making-of beschreibt Walter Moers die Herausforderungen, die die Umsetzung eines Romans als Graphic Novel mit sich bringt – ein durchaus spannendes Thema:

Als Florian Biege und ich anfingen, konkret an dem Comic zu arbeiten, habe ich selbst zum ersten Mal richtig begriffen, wieviel man als Romanautor der Phantasie des Lesers überlässt – selbst ein Autor wie ich, der seine Bücher üppig illustriert. […]
[V]or allen Dingen sahen wir uns mit der Frage konfrontiert: Wie stellt man das alles dar, ohne die Vorstellungen der Leser zu enttäuschen? […] Und welche Form hat eigentlich das Orm?

Walter Moers über Die Stadt der träumenden Bücher (Graphic Novel)
Illustration aus Die Stadt der träumenden Bücher
Kitsch oder Meisterwerk, das ist hier die Frage.

Ist es Walter Moers und Florian Biege gelungen, Buchhaim, seine Bewohner und die Katakomben passend darzustellen?
Ich beantworte diese Frage mit einem eindeutigen Ja.

Der Autor: Walter Moers

Hildegunst von Mythenmetz (© Walter Moers/Verlagsgruppe Random House GmbH)
Hildegunst von Mythenmetz (© Walter Moers/Verlagsgruppe Random House GmbH)

Walter Moers (*1957) ist einer der erfolgreichsten deutschen Autoren der Gegenwart. Er begann als Comic-Zeichner und ist der Erfinder von Käpt’n Blaubär. Walter Moers tritt seit Jahren nicht öffentlich auf und es gibt keine Bilder von ihm. Auch deshalb wird seine Figur Hildegunst von Mythenmetz mittlerweile oft als „Ersatz“ zu Marketingzwecken benutzt.

1999 veröffentlichte er den ersten Teil seiner Zamonien-Reihe. Seine Bücher sind durch ihre besondere Machart nicht eindeutig einem bestimmten Genre zuordenbar. Das Etikett „Fantasy“ passt nur zum Teil und wäre irreführend. Häufige Bestandteile seiner Werke sind Metafiktion, Intertextualität, Parodie und die Literatur bzw. der Literaturbetrieb.

Website: www.zamonien.de

Verschiedene Titel des Autors (Auswahl):

Daten und Links zum Buch

  • Autor: Walter Moers
  • Titel: Die Stadt der träumenden Bücher (Comic) Band 1: Buchhaim
  • Illustrator: Florian Biege
  • Verlag: Penguin
  • Seiten: 112

Cover zu Walter Moers - Die Stadt der träumenden Bücher Band 1 (Graphic Novel)
Die Stadt der Traeumenden Buecher Comic von Walter Moers
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