Haben Adlige im Mittelalter Nacktbilder versendet?
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Smartphones und Snapchat haben es zu etwas Alltäglichem werden lassen, dass Menschen Nackbilder von sich selbst versenden. Die selben Menschen trifft es dann völlig unerwartet, wenn ihre Daten gehackt werden und jemand anderes Zugriff auf ihre Bilder hat. Doch darum soll es hier nicht gehen. Die wirkliche Frage ist: Ist dieses Verhalten tatsächlich ein Phänomen des Internetzeitalters?

Haben Adlige ihre Portraits bewusst aufgehübscht, um andere zu täuschen?

Heirat unter Adligen verlief im Mittelalter anders als heute. Statt romantischer Liebe waren kalte politische und taktische Überlegungen im Vordergrund. Es ging darum, Allianzen zu schmeiden und das Reich zu stärken und zu erhalten. Im Zuge der ‚Verhandlungen‘ wurden oft Porträts verschickt, meistens aber erst, nachdem der Deal ausgehandelt war. Dies mag zur Bestätigung gedient haben, vielleicht war es aber auch ganz hilfreich, um den zukünftigen Ehepartner bei der Hochzeit zu erkennen.

Wie wurde mit diesen Porträts umgegangen? Waren sie immer nah an der Realität, oder wurde mit ihnen das gemacht, was man heute als photoshoppen bezeichnen würde? Wir können davon auszugehen, dass Hundenasen- und Blumenfilter noch nicht erfunden waren, doch etwas taktisches Beschönigen hier und da scheint durchaus im Bereich das Möglichen. Und wurden auch Nacktbilder verschickt, um dem Herrscher eine Braut besonders attraktiv zu machen, zum Beispiel wenn ein Herrscher mehrere potentielle Kandidatinnen hatte?

Henry VIII und Anne – Auf den Bildern sah sie besser aus

Als Henry VIII. von England nach einer Kandidaten für seine vierte Ehefrau suchte, legte man sich nach langen Beratungen darauf fest, ihn mit einer der Töchter des Herzogs von Kleve (Duke of Cleves; Kleve ist im heutigen Nordrhein-Westfahlen) zu verheiraten. Die Frage war: Wollte er Anne oder Amelia?
Henry beauftragte also den Maler Hans Holbein den Jüngeren, Porträts von beiden zu malen, damit er sich entscheiden konnte. Er sah die Bilder und war begeistert von Anne. Als er sie kurz vor ihrer Hochzeit zum ersten mal in Persona sah, hatte seine Begeisterung schnell ein Ende. Anne war „keineswegs so schön, wie berichtet wurde“, „ihr Körper war missgestaltet“ und „ungeeignet, ihn zu erregen und irgendeine Lust zu erwecken“. Henry war offensichtlich nicht zufrieden damit, was er bekam. Doch die Heirat war bereits verhandelt, sie abzusagen hätte diplomatische Schwierigkeiten bedeutet, also biss er in den saueren Apfel und machte sie zu seiner Frau. Zumindest bis die Ehe nach sechs Monaten geschieden wurde.

Hatte Hans Holbein Anne of Cleves bewusst schöner gemalt, als wie wirklich war? Oder lag es am typischen Kunststil der Zeit, dass Henry so getäuscht wurde? Oder war Holbein ganz simpel schlecht darin, Porträts zu malen?

Karl II – Photoshop in der Frühen Neuzeit

Ein anderes Beispiel dafür, wie Porträts ‚korrigiert‘ wurden, ist Karl II. von Spanien. Als Habsburger hatte er die Folgen von generationenlangem Inzest geerbt. Er lernte erst sehr spät sprechen und gehen. Er hatte körperliche und geistige Behinderungen und Missbildungen. Er konnte kaum kauen oder sprechen. Aber da er der einzige potentielle Thronerbe war, gab es keine Alternative zu ihm.
Der Mann, der seine Autopsie durchführte, beschrieb den Körper Karls bizarr:

Seine Leiche hatte keinen Tropfen Blut; sein Herz hatte die Größe eines Pfeffernkorns; seine Lungen waren zerfressen; sein Darm war verrottet und verbrannt; er hatte nur einen Hoden, schwarz wie Kohle und sein Kopf war voll Wasser

Und trotzdem wird Karl II auf Porträts relativ normal dargestellt, man sieht nur die typische signifikante Habsburgerlippe.

Gemalte Porträts sind also wenig überraschend alles andere als zuverlässig, wenn es um das tatsächliche Aussehen von Adligen geht. Es wurde für ein ideales öffentliches Bild gesorgt.

Doch wie war es im privaten Bereich? Ging man hier offener mit dem Bild des eigenen Körpers um?

Die Briefe von Dom Pedro und Domitilia 

Ein Beispiel dafür, dass dieser Gedanke vielleicht gar nicht so absurd ist, ist Dom Pedro I von Brasilien, der zwar weit nach dem Mittelalter lebte, aber zumindest ein Adliger war:

Dom Pedro I. (dt: Peter I.), von 1822-1831 Kaiser von Brasilien, war in seiner ersten Ehe mit Maria Leopoldine von Österreich verheiratet. Er sah laut ihr aus „wie ein Adonis“, machte viel Sport, war fit, charmant und in seiner Position als Kaiser von Haus aus attraktiv. Und er war ein Womanizer.
Leopoldine dagegen war alles andere als eine Schönheit. Sie war kurz, dick und hatte die typische übergroße ‚Habsburgerlippe‘, dazu als Mitglied eines Königshauses, das über Generationen bevorzugt in der Verwandtschaft heiratete, sowieso nicht die besten Gene. Kurz sie war eine typische politisch-taktische Braut. Dazu war sie zum Leidwesen Dom Pedros auch noch prüde. Sex war für sie etwas, das „sich für eine Lady nicht gehört“ und das „still, im Bett liegend und an das Königreich denkend“ stattfinden musste. Bis vor ihrer Hochzeit wusste sie – wie viele Mädchen von Adeligen – nicht einmal, was Sex ist, während Dom Pedro weithin bekannt für seine Eskapaden war. Man kann ihr nicht vorwerfen, nicht pflichtbewusst gedacht zu haben und sie war auch eine beliebte und kompetente Herrscherin, doch es klingt nicht so, als hätten sie und Dom Pedro heiße Nächte gehabt.

Zu seinem Glück kannte Dom Pedro eine andere Frau: Domitília de Castro Canto e Melo. Und Domitilia war ein Heißblut mit einem attraktiven Körper. Also organisierte er ihr ein Haus in Rio de Janeiro, wo er sie regelmäßig besuchte. Sie war zwar nicht seine einzige Mätresse, aber wohl seine liebste. Er ernannte sie sogar zur ersten Hofdame Leopoldines – möglicherweise um diese zu demütigen. Er empfing in Domitias Haus oft sogar Mitglieder des Hofes und hatte eine uneheliche Tochter mit ihr. Jeder wusste über ihn und Domitilia Bescheid. Für Dom Pedro war das jedoch kein Problem, als kluger Herrscher konnte er zwischen Heirat und Liebe unterscheiden.
Die Affäre war öffentlich bekannt. Domitilia erhielt sogar Briefe, in denen sie bedroht und beleidigt wurde. Bei einer Gelegenheit ritt Dom Pedro 80 Kilometer, nur um jemanden zu finden, der Domitilia als Hure bezeichnet hatte und um ihn dann zu verprügeln.

Nun aber zurück zur Frage nach den Nacktbildern. Dom Pedro und Domitilia schrieben sich regelmäßig Briefe. Und in diesen Briefen schrieben sie offen über Sex. Sie schrieb ihm, wie sehr sie Lust auf Oralsex hatte, er schrieb ihr, wie er auf ihr und mit ihr kommen wolle. Dom Pedro hatte die Angewohnheit auf diese Briefe Bilder seines Penis zu zeichnen, machmal ejakulierend. Dickpics sind also keine Erfindung rolliger Snapchat-Teenager, sondern eine alte royale Tradition.

Bei der Geburt ihres letzten Kindes starb Leopoldina. Als sich Dom Pedro drei Jahre später eine zweite Frau suchte, musste er seine Affäre mit Domitilia schließlich beenden.

Auch hier bleibt festzuhalten: Die Dickpics von Dom Pedro waren keine professionellen Portäts oder Fotos, sondern dürften in etwa das gewesen sein, was man an den Wänden von öffentlichen Toiletten findet.

Fazit: Im Rahmen der Möglichkeiten

Die Vorstellung, dass ein König (oder Adliger) einen professionellen Maler beauftragte, nur um private Nacktbilder von sich zu zeichnen, ist am Ende zu abenteuerlich. Nacktbilder in Auftrag zu geben war schlicht und einfach unangemessen, dazu sehr teuer und wohl auch peinlich.
Sollten Nacktzeichnungen verschickt worden sein, dürften sie sich im Rahmen dessen bewegt haben, was Dom Pedro machte. Zeichnungen von ganzen Körpern sind unrealistisch. Wie erwähnt blieben ohne professionellen Maler nur eigene Zeichnungen übrig und wie viele Adlige dürften wirklich gut im Zeichnen gewesen sein? Dazu konnt, dass der Stil, den wir gerade von mittelalterlichen Bildern kennen, sehr künstlich und wenig realitätsnah war.

Quelle:

https://www.reddit.com/r/AskHistorians/comments/6g93dc/we_know_that_medieval_nobles_traded_portraits_to/

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